Die Filmstarts-Kritik zu The Wild Bunch (2024)

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The Wild Bunch

Kritik der FILMSTARTS-Redaktion

5,0

Meisterwerk

The Wild Bunch

Von Björn Becher

Mit dem legendären Neo-Western „The Wild Bunch“ schuf Regie-Legende Sam Peckinpah sein erstes großes Meisterwerk, wohl sogar sein allergrößtes, ein Film über die großen Peckinpah-Themen: Verrat, Korruption, Freundschaft, Machtmissbrauch und Gewalt!

Sam Peckinpahs Karriere war eigentlich schon vorbei, bevor sie richtig begonnen hatte. Nach dem Achtungserfolg mit seinem Western „Sacramento“ (auf einigen Festivals mit Preisen ausgezeichnet), erlitt er mit „Sierra Charriba“ (Originaltitel: „Major Dundee“) ein Desaster. Bedingt durch einen Führungswechsel an der Spitze des produzierenden Studios ColumbiaTriStar kam es schon im Vorfeld zu großen Problemen als Peckinpah Budget und Drehzeit zusammengestrichen wurde. Als klar wurde, dass Peckinpah das neue Budget nicht einhalten würde, sollte er während der Dreharbeiten gefeuert werden. Nur Boykottdrohungen seiner Darsteller und seiner Crew retteten ihm den Job. Schließlich wurde noch seine Filmfassung – wie so oft in seiner Karriere – völlig von den Produzenten verstümmelt und ein Flop im Kino. Als Peckinpah direkt danach noch bei Cincinnati Kid aufgrund kreativer Differenzen gefeuert wurde, hatte er seinen Ruf weg: Peckinpah bedeutet große Kosten, viel Ärger und wenig Einnahmen. Niemand in Hollywood wollte ihn mehr beschäftigen.

Erst einer neuen Ära des Kinos verdankte Sam Peckinpah sein Comeback. Das klassische Hollywoodstudiosystem neigte sich dem Ende zu. Viele Riesenflops wurden produziert und abseits davon entwickelten sich eine neue Ära kreativer Filmemacher, die Anfänge des New-Hollywood-Kinos. Durch die Umwälzungen in den Führungsriegen der Studios saß plötzlich mit Ken Hyman ein junger Mann in den oberen Etagen von Warner Bros., den Peckinpah einst bei einem Festival kennen lernte. Nachdem Hyman sich Peckinpahs „Sacramento“ angesehen hatte, war für ihn klar, dass er unbedingt den Regisseur – trotz dessen Rufs – für ein Projekt gewinnen musste. Ungefähr vier Jahre nach „Sierra Charriba“ – Peckinpah hatte zwischenzeitlich wenigstens eine beachtliche TV-Arbeit („Noon Wine“) abgeliefert - begann Peckinpah schließlich mit einem neuen Film...

Zu Beginn von „The Wild Bunch“ reitet eine Gruppe von Männern in Soldatenuniform in die mexikanische Grenzstadt San Rafael ein. Dort sind die Straßen gerade sehr belebt, denn die Bürger entsagen mit einer öffentlichen Parade dem Alkohol. Die uniformierten Reiter halten direkt auf das Büro der Eisenbahngesellschaft zu. Für den Zuschauer schon ersichtlich hat hier jemand eine Falle vorbereitet. Auf dem Dach des dem Büro gegenüber gelegenen Gebäudes liegen zahlreiche, größtenteils zwielichtige Gestalten mit angeschlagenem Gewehr in Stellung. Doch der Schein, der sich dem Zuschauer aufdrängen soll, trügt. Die Banditen sind nicht die Männer auf dem Dach, sondern, wie beim Betreten des Büros klar wird, die Uniformierten. Pike Bishop (William Holden, Boulevard der Dämmerung) und sein „wilder Haufen“ überfallen verkleidet als Soldaten das Lohnbüro und bemerken dabei ihre versteckten Feinde. So kommt es als sie das Büro verlassen, zu einer blutigen Schießerei, in deren Verlauf nicht nur auf beiden Seiten zahlreiche Opfer zu beklagen sind, sondern vor allem auf Seiten der Bürger der Stadt, auf die niemand Rücksicht nimmt. Bevor Bishop mit dem letzten Häuflein von Männern aus der Stadt fliehen kann, erkennt er auf dem Dach inmitten seiner Feinde noch einen Mann: Deke Thornton (Robert Ryan, „Das dreckige Dutzend“), seinen einstigen Freund und Weggefährten.

Um aus dem Gefängnis freizukommen hat sich dieser überreden lassen, für die Eisenbahngesellschaft seinen einstigen Kumpanen, den berüchtigten Banditen Bishop, und dessen Bande zu jagen. Der dieses Ziel rücksichtslos verfolgende Pat Harrigan (Albert Dekker, „Jenseits von Eden“), vom Gesetz mit allen Freiheiten ausgestattet, hat Thornton dazu eine Bande zwielichtiger und geldgieriger Kopfgeldjäger zur Seite gestellt. Nachdem die Falle in San Rafael nicht zugeschnappt ist, wird Thornton ein Ultimatum gestellt: Entweder er fängt innerhalb von dreißig Tagen Bishop oder er wird wieder im Gefängnis gefoltert…

Bishop muss sich währenddessen mit Problemen in seiner Bande auseinandersetzen. Der von ihm geplante Überfall war ein Desaster. Nicht nur die Toten schlagen negativ zu Buche, auch die Beute entpuppt sich als wertlose Silberringe. Vor allem die aufbrausenden Gorch-Brüder Tector (Ben Johnson, Getaway) und Lyle (Warren Oates, Badlands) zeigen offen ihre Unzufriedenheit. Nur durch die loyale Hilfe von Bishops engem Freund Dutch Engstrom (Ernest Borgnine, Der Flug des Phönix (1966)) und des alten Freddie Sykes (Edmond O’Brien, Sprung in den Tod) bleibt die Gruppe zusammen. Gemeinsam geht es nach Mexiko, wo man auf den plündernden General Mapache (Emilio Fernández, Pat Garrett jagt Billy The Kid) trifft der die Gruppe beauftragt einen Zug zu überfallen. Dieser transportiert moderne Waffen und Mapache bietet Bishops Männern 10.000 Dollar für den Job. Doch in dem Zug warten Thornton und seine Kopfgeldjäger, zudem ist Mapache nicht zu trauen und er hat auch noch einen Clinch mit Angel (Jaime Sánchez, Carlito´s Way), dem sechsten Mann aus Bishops wildem Haufen.

Bei seiner Premiere wurde „The Wild Bunch“ von der Kritik sehr unterschiedlich aufgenommen. Große Jubelarien und gnadenlose Verrisse wechselten sich ab. Die Verrisse hingen sich alle an einem Umstand auf: der Gewalt. In der großen Anfangsschießerei und vor allem im mittlerweile wohl legendären Finale nimmt Sam Peckinpah keine Rücksicht auf den Zuschauer. Kurz zuvor leistete Arthur Penn mit dem Finale von Bonnie And Clyde die Vorarbeit. Er lässt seine beiden Protagonisten in Zeitlupe von Kugeln durchlöchern. Diese beeindruckende Szene greift Peckinpah auf und führt sie weiter. Er perfektioniert und vervielfacht sie, vergrößert den Schauplatz, die Anzahl der Mitwirkenden und die Vielfältigkeit und Schlagkraft der zahlreichen Waffen (neben den normalen Gewehren und Pistolen bleiben Handgranaten und vor allem das fest montierte Gatling-Maschinengewehr in nachhaltiger Erinnerung). Zurück bleibt eine einzigartige Choreographie der Gewalt, die immer noch Filmemachern über John Woo (z. B. in A Better Tomorrow, The Killer), Robert Rodriguez (vor allem in „Desperado“) bis hin zu den Wachowski-Brüdern (Matrix) als Vorbild dient, von diesen kopiert und zitiert wird. Peckinpahs Choreographie der Gewalt ist einzigartig. Die brillanten Bilder von Kameramann Lucien Ballard (Der Partyschreck), oft in Zeitlupe, und der beeindruckende, rasante Schnitt (der Film setzte mit über 3.600 Schnitten einen neuen Rekord) von Lou Lombardo („Mondsüchtig“) sorgen für Szenen, die sich ins Gedächtnis brennen.

Wenn man diesen Bildern nun Gewaltverherrlichung vorwirft, zeigt man ein Nichtverständnis der Gesamtheit des Films. Für sich gesehen und rausgelöst kann man den faszinierenden Bildern eine Gewaltverherrlichung attestieren, doch so bekommt man sie nicht im Film zu sehen. Keiner der Szenen ist ohne Grund im Film, alle haben ihre Funktion für die Erzählung der ganzen Geschichte. Dies gilt sowohl für die Deutlichkeit als auch die Choreographie der drastischen Bilder. Peckinpah verherrlicht keine Gewalt, ganz im Gegenteil. Der Anfang des Films ist ein deutliches Signal gegen die Gewalt, sorgt dafür, dass sowohl die Bande von Bishop als auch die Verfolger um Thornton nicht zu Sympathieträgern taugen, so rücksichtslos wie sie die unschuldigen Zivilisten über den Haufen schießen, auch wenn gerade Bishop und vor allem Thornton dies verteufeln. Peckinpah unterstreicht seinen kritischen Blick auf die Gewalt noch durch das Zeigen einer spielenden Gruppe von Kindern. In einem kleinen Holzgefängnis halten diese ein paar Skorpione gefangen, überschütten sie erst mit unzähligen Ameisen (übrigens auch eine Vorwegnahme des Finales), schauen dem Kampf der Tiere zu, legen schließlich Stroh darüber und zünden dieses an. Vom Anblick dieser sadistischen Tat schneidet der Film um auf die Antlitze der Kinder, die lachen. Später spielen dieselben Kinder die Schießerei vor dem Büro der Eisenbahngesellschaft nach. Um sie herum liegen noch die Leichen. Die Gewalt ist mitten in der Gesellschaft. Wie hat der US-Filmkritiker Roger Ebert einmal sinngemäß geschrieben: „The Wild Bunch“ zeigt die Gewalt so endgültig und auch exzessiv, dass der Film paradoxerweise ein Statement gegen Gewalt ist.

Auch wenn sich Kritiken, Diskussionen und Meinungen zu „The Wild Bunch“ fast ausschließlich immer um die Gewalthaltigkeit drehen, darf man nicht vergessen, was diesen Film erst so vorzüglich macht. Peckinpahs Film hätte nämlich nicht diesen Klassikerstatus, wenn er bloß ein gewalthaltiger Western wäre, denn davon gibt es viele. „The Wild Bunch“ hat die für das Genre nötige Spannung. Vor allem der Eisenbahnüberfall ist in dieser Hinsicht ein exzellentes Beispiel. Wenn man zusieht wie Bishop und seine Männer ihren sorgsam ausgeklügelten Plan in die Tat umsetzen, fühlt man sich an einen klassischen Heist-Movie erinnert. Peckinpah würzt dies noch mit gekonnter Action, sorgt für atemberaubende und rasante Stunts, bei denen man noch die echte Handarbeit erkennt, was sie um so viel besser macht als viele der im Computer entstandenen Stunts aus modernen Actionfilmen. Der komplette Verzicht auf Personendoubles unterstützt dies und so sieht man an Realismus kaum zu überbietende Actionszenen. Der Eisenbahnüberfall rechtfertigt allein schon das Ansehen des ganzen Films.

„The Wild Bunch“ ist zudem ein beeindruckendes Drama über zwei Freunde, die nun auf unterschiedlichen Seiten stehen. Thornton muss seinen Freund jagen, ähnlich wie Pat Garrett im später entstandenen Peckinpah-Meisterwerk Pat Garrett jagt Billy The Kid macht er dies mehr als widerwillig, erkennt den Verrat der darin steckt, weiß aber das es keine andere Möglichkeit mehr gibt. Auf der anderen Seite steht Bishop, für den Ehre sehr wichtig ist, der mit seinem letzten Kameraden für einen seiner Männer in den sicheren Tod geht, der aber in anderen Situationen wieder pragmatisch denkt, zu Beginn einen Mann zurücklässt, einem anderen ein anständiges Begräbnis verweigert.

Vor allem den Darstellern ist hier besonderes Lob auszusprechen. William Holden, der eigentlich nur zweite Wahl war (Lee Marvin sagte aufgrund eines besser dotierten Konkurrenzangebots ab), entpuppt sich als absoluter Glücksgriff. Er schafft es, die Zerrissenheit und Verzweifeltheit des dem Alkohol nicht abgeneigten Bishops dem Zuschauer immer deutlich zu machen. Holden, der zu dieser Zeit selbst sehr viele private Probleme hatte, scheint viel von sich selbst in die Rolle gelegt zu haben, auch Peckinpah hat der Person des Bishop wohl noch eigene Züge aufgedrückt. Auch wenn Holden etwas herausragt, ist die Besetzung durchweg zu loben. Peckinpah versammelte nur großartige Darsteller um sich, mit vielen sollte er später immer wieder arbeiten.

Das Setting des Films im Jahre 1913, vor den Hintergründen der mexikanischen Revolution und in der Endzeit des Wilden Westen, über den schon Automobile und neumodische Waffen hereinbrechen, könnte perfekter nicht gewählt sein, werden die Themen von „The Wild Bunch“ so doch noch unterstrichen und wird der Film so zum Abgesang auf den Westen. Versehen mit der nötigen Prise Komik an den richtigen Stellen und zahlreichen ruhigeren Passagen mit exzellenten Dialogen, entstand so einer der wichtigsten und einflussreichsten Western der Geschichte, dazu noch einer der allerbesten Vertreter seines Genres. Spätestens wenn im Finale William Holden, Ernest Borgnine, Warren Oates und Ben Johnson sich ihren Feinden entgegenstellen (eins der wohl berühmtesten Bilder der Filmgeschichte), bereit zu sterben, aber dabei noch eine ganze Armee mit in den Tod nehmend, dann weiß man, hier hat man etwas ganz Großes gesehen. Und erst danach folgt ja noch das bleihaltige und grandiose Finale sowie die wunderbare Schlusssequenz…

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